Krankenhausseelsorge ist ein besonderes Seelsorgefeld der Kirche.
Das Angesicht Gottes begegnet in Hungrigen, Durstigen, Fremden, Nackten, Kranken, Gefangenen (Matthäus 25, 31ff). Die Not eines anderen zu sehen, die Augen nicht zu verschließen, sondern ihn oder sie zu unterstützen und zu begleiten, ist Aufgabe der Kirche und aller Christinnen und Christen.
In Krankenhäusern bemühen sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten und andere – um das Wohl der Patientinnen und Patienten, um Heilung und Linderung. Gleichzeitig sind Krankenhäuser Orte des Schmerzes, der Verzweiflung, der Angst, der Hoffnung, des Sterbens. Eindringlich werden hier die Grundfragen des Lebens gestellt: „Was trägt mich? Was ist der Sinn? Wie kann ich leben? Wie kann ich sterben?“ Auch ethische Fragen spielen eine große Rolle.
Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger begleiten und unterstützen vor Ort in hoher Professionalität Menschen in diesen Notsituationen. Gleichzeitig vertreten sie christliche Werte in dieser weithin säkular geprägten Institution. EKD-weit bildet die Krankenhausseelsorge den mit Abstand größten übergemeindlichen pastoralen Arbeitsbereich der Kirche.
Die Krankenschwester spricht den Seelsorger an: Frau G., seit einer Woche auf Station, habe die Diagnose „inoperabler, bösartiger Hirntumor“ bekommen. Als er ihr Zimmer betritt, sitzt sie auf ihrem Bett und schaut aus dem Fenster. Er stellt sich vor. Sie kommen ins Gespräch, reden zunächst über das Wetter, das Essen im Krankenhaus, bis sie sagt: „Wie eigenartig es ist, jetzt auf einen Kalender zu gucken.“
Die Notaufnahme ruft: Ein junger Mann ist seinen Verletzungen erlegen. Der Arzt will zusammen mit der Seelsorgerin den Eltern die Nachricht überbringen. Nachdem sie eingetroffen sind, findet das Gespräch statt. Der Vater sagt schließlich, sie würden ihren toten Sohn lieber nicht noch einmal sehen wollen. Der Arzt akzeptiert das. Die Mutter schweigt, und die Seelsorgerin fragt nach. „Doch…“, sagt sie zögernd, „ich glaube, ich möchte zu meinem Sohn… Ich möchte ihn noch einmal sehen…“
Die Ärztin und die Seelsorgerin trinken nach einer Teambesprechung noch einen Kaffee zusammen. Mehrmals klingelt das Telefon, und ein Pfleger steht in der Tür und teilt mit, dass die Angehörigen von Herrn F. jetzt da seien. „Lange halte ich das nicht mehr aus“, stöhnt die Ärztin. „Wir sind chronisch unterbesetzt, ich schiebe immer mehr Überstunden vor mir her, komme hier abends kaum weg… Und keinen schert das!“
„Vielen Dank für den Gottesdienst“, sagt die Frau im Rollstuhl beim Rausgehen. Eine halbe Stunde geistlicher Besinnung liegt hinter ihr und den anderen fünf Besuchern, denen man ihr Kranksein meist ansieht: der dünne Mann in Begleitung seiner Frau, die den Infusionsständer schiebt, die Frau mit dem Kopfverband, der Mann an Stützen, der die ganze Zeit gestanden hat, die Frau im rosa Bademantel.
Herr S. will nicht mehr leben. Eigentlich ist der alte Mann trotz seiner schweren Erkrankung noch recht rüstig und humorvoll. Nun aber werden die Nierenwerte immer schlechter. Und er sagt, er wolle auf keinen Fall an die Dialyse. Er habe sein Leben gelebt und sei bereit zu sterben. Die Bezugspflegekraft kann das nicht akzeptieren. Auf ihren Antrag hin wird eine ethische Fallbesprechung einberufen. Diese wird von der Krankenhausseelsorgerin moderiert.
Die rechtlichen Grundlagen für die Krankenhausseelsorge bestehen im Grundrecht auf freie ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Grundgesetz) und im Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Art. 140 Grundgesetz i.V.m. Art. 137 u. Art. 141 Weimarer Reichsverfassung). Daraus ergibt sich das Recht der Kirche, Menschen mit Krankenhausseelsorge zu beauftragen, die Patientinnen und Patienten im Krankenhaus besuchen und dort Gottesdienste feiern (unter Beachtung von Art. 136 Abs. 4 Weimarer Reichsverfassung).
Krankenhausseelsorge heißt zunächst: Besuche am Krankenbett! Sie heißt aber auch:
Von ihrer biblisch-theologischen Grundlage her vertritt die Krankenhausseelsorge ein ganzheitliches Verständnis vom Menschsein, von Gesundheit, Krankheit und Heilung. Sie achtet die Würde und Freiheit der Einzelnen – auch im Umgang mit Grenzen und Sterben. Sie sucht mit den Betroffenen Wege, Leiden und Brüche wahrzunehmen, auszuhalten und in ihr Leben zu integrieren. Dabei tragen sich das seelsorgliche Gespräch und die Feier des Gottesdienstes, Gebet und Stille gegenseitig. Die Krankenhausseelsorge ist aufsuchende Seelsorge und wendet sich an alle Menschen, unabhängig von deren Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung.
Die in der Krankenhausseelsorge haupt- oder ehrenamtlich Tätigen gehen achtsam mit den Grenzen der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen um. Grenzüberschreitungen jeglicher Art, erotische oder sexuelle Handlungen und Beziehungen sind mit professioneller Seelsorge nicht vereinbar. In der Seelsorge Tätige haben die seelsorgliche Schweigepflicht zu wahren.
Um diese anspruchsvolle Arbeit zu leisten, brauchen Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger pastoralpsychologische Aus-, Fort- und Weiterbildungen. Regelmäßige Supervision ist unabdingbar. Sie haben oft mehrere Zusatzqualifikationen in Seelsorge, Beratung, Therapie oder Supervision erworben, z.B. auch für den Bereich der Psychiatrie, der Palliativ- oder Intensivmedizin, der Kinderkrankenhaus- oder Rehaseelsorge. In der Regel sind evangelische Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger Pastorinnen und Pastoren, manchmal aber auch z.B. Diakon/in, Religions- oder Gemeindepädagog/in.
Sie brauchen:
Die Veränderungen im Gesundheitswesen, seine stetig wachsende Ökonomisierung, beeinflussen auch die Arbeit der Krankenhausseelsorge. Gesundheit ist zur Ware geworden. Liegezeiten haben sich drastisch verkürzt, viele Kontakte sind Einmalkontakte. Kliniken spezialisieren sich und brauchen eine entsprechend spezialisierte Seelsorge. Mitarbeitende im Krankenhaus stehen unter einem immer höheren Zeit-, Entscheidungs- und Leistungsdruck und wenden sich vermehrt an die Seelsorge.
Michael Klessmann (Handbuch der Krankenhausseelsorge, Göttingen 20134) sagt, die Krankenhausseelsorge sei in einem „Zwischen-Raum“ angesiedelt: Einerseits ist sie ein genuin kirchliches Angebot, andererseits findet sie in einer naturwissenschaftlich geprägten fremden Institution statt und eben nicht in der Ortsgemeinde. Sie ist, wie oben erwähnt, rechtlich abgesichert, gleichzeitig brauchen die Seelsorgerinnen und Seelsorger einen langen Atem, um sich ihren Platz in einer Klinik und bei den Mitarbeitenden zu erarbeiten.
Oft arbeitet die Krankenhausseelsorge eng mit v.a. dem medizinischen und pflegerischen Personal zusammen und wird als Mitglied im Behandlungsteam gesehen, dann wiederum steht sie auf der Seite der Kranken, ist deren Fürsprecherin und zuweilen Anwältin eines „Es ist genug“ oder auch „Es ist gerade nicht genug“.
Inhaltlich bewegt sie sich in einem Feld zwischen Alltagsgespräch, Psychotherapie und geistlichem Gespräch. Sie muss sich berühren lassen vom Leiden der anderen und braucht doch eine professionelle Distanz, um hilfreich sein zu können. Sie erlebt sich manchmal als machtvoll und helfend, dann wieder muss sie ohnmächtig zusehen, wie der Kampf gegen eine Krankheit verloren geht.
Sie muss und will von Gott reden und verzweifelt gleichzeitig an bestimmten Gottesbildern, die im Krankenhaus nicht tragen, wenn das Aushalten der Fragen der tiefste mögliche Glaube ist.